Sichtbar machen und aufklären

Mit Vorträgen und Workshops wollen wir auf unterschiedliche sexuelle und geschlechtliche Identitäten aufmerksam machen und auf Themen wie Intersektionalität, Ableismus und Rassismus eingehen.

Bericht: Vortragsreihe Queere Identitäten und Lebensrealitäten

Eine Vortragsreihe des Queeren Zentrums, gefördert durch das Queere Netzwerk NRW

Die Grundidee dieser Vortragsreihe war, gerade den queeren Identitäten und Lebensrealitäten Raum zu geben, die innerhalb der queeren Community weitgehend marginalisiert werden. Die Rangordnung der akzeptablen Identitäten, die sich in weiten Teilen an heteronormativen Maßstäben orientiert, schafft somit eine elitäre Schicht queerer Identitäten; nämlich solche, die der Heteronormativität am nähesten kommen. Dieses Phänomen wurde 2002 von Lisa Duggan als Homonormativität benannt und beschreibt die neoliberale Strategie der Anpassung an bestehende Machtstrukturen. Mein persönlicher Wunsch war es, in jedem einzelnen Termin eine Perspektive dieser Machtstrukturen zu beleuchten, immer aus der nicht-normativen Perspektive und immer mit kritischem Blick auf diese Strukturen.

Den Auftakt machten wir am 05.07.24 in Kooperation mit der Düsseldorfer Frauenberatungsstelle und mit einer*m Vortragenden der Pro Familia Duisburg zum Thema Endometriose und reproduktive (Un)Gerechtigkeit. Unter dem Titel “Nimm mich ernst! Leben mit Endometriose” fand ein Abend mit wissenschaftlichem Input und Austausch verschiedener Betroffenen statt. Noel Gotthardt, Vortragende*r, Mediziner*in und Mitarbeiter*in der Pro Familia Duisburg leitete durch die medizinischen Prozesse der Endometriose unter spezieller Beachtung der rassistisch-sexistischen und queerfeindlichen Bedingungen, unter denen Personen mit Uterus im medizinischen Versorgungssystem regelmäßig leiden. 

Sehr informativ und wissenschaftlich fundiert bekamen die Besucher*innen—in weiten Teilen Betroffene—einen Überblick über diese Krankheit und die Hintergründe, warum so wenig Aufklärung Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Die Antwort, so erschütternd wie erwartbar, ist natürlich, dass Endometriose als “Frauenthema” in einer weiß-männlich dominierten (Medizin-)Gesellschaft wenig Priorität hat und Personen mit Uterus, insbesondere wenn diese BIPoC und/oder Menschen mit Migrationsgeschichte sind, gleichzeitig eine höhere Schmerzresistenz und “übertreiben” in der Beschreibung von Schmerzen unterstellt wird. 

Bis heute ist ungeklärt, wie Endometriose genau entsteht und wie man sie endgültig los wird. Endometriose kann auch negative Einflüsse auf die Fruchtbarkeit haben und ist insbesondere bei queeren Menschen und BIPoC besonders unterdiagnostiziert (wenngleich auch heterosexuelle cis Frauen durchaus um eine Diagnose kämpfen müssen), was zumindest in Teilen auch mit der normativen Vorstellung von “erwünschter Reproduktion” erklärt werden kann. Im Anschluss gab es eine Austauschrunde der anwesenden Betroffenen mit gegenseitiger Unterstützung und Bestätigung. Die Erfahrungen aller Anwesenden ähnelten sich weitgehend.

Unsere Kooperationspartnerin: frauenberatungsstelle.de

 

 

Am 06.09.24 fand im Zentrum Plus Stadtmitte der zweite Vortrag statt. Andrea Büchter von Autistic Pride Düsseldorf und Sprecher*in zu Neurodivergenz-Themen, gab einen Einblick in die Verschränkung von Neurodivergenz (also Abweichungen von normativen Vorstellungen zu Neurotypen) und Queerness, mit besonderem Fokus auf Autismus und die Neuroqueering-Theorie. 

Im Vortrag "Autistisch und Queer" folgte auf einen Überblick über Autismus und relevante Begriffe allgemein eine Einführung in das Konzept Neuroqueering, das aufzeigt, wie normative Werte sich gegenseitig beeinflussen und dass gerade Neuronormativität und Heteronormativität als konstruierte Regeln diktieren “wie Mensch zu sein hat” und Abweichungen in beiden Bereichen unerwünscht sind und als krankhaft bewertet werden. Die Theorie entwickelte sich aus den bestehenden Feldern der Queeren Theorie und der Disability Studies, sowie der Behindertenrechts-Bewegung in den USA der 1970er Jahre. Eine Studie zu Neurodivergenz und Queerness ergab, dass ca. zwei Drittel aller befragten autistischen Menschen queer sind, während sich unter den neurotypischen Befragten zwei Drittel als heterosexuell identifizieren. Diese hohe Zahl neurodivergenter Menschen innerhalb der queeren Community warf die Frage auf, warum queere Räume so selten barrierearm für Neurodivergenzen sind (reizarme Räume, klare Beschreibungen der erwartbaren Bedingungen bei Veranstaltungen, etc). Im Anschluss an den Vortrag gab es eine Fragreunde, in der auch über andere Neurodivergenzen als Autismus gesprochen wurde und Betroffene auch ihre Perspektiven einbringen konnten.

Autistic Pride im Internet: instagram.com/autisticprideddorf/

 

Am 17.10.24 konnten wir das Autor*innen-Duo ace_arovolution für einen Doppelvortrag zu den Themen Aromantik und Asexualität in die Aidshilfe Düsseldorf einladen. Ihr Buch „(un)sichtbar gemacht – Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ ist 2022 bei Edition Assemblage erschienen.

Der Vortragstitel “Die Pärchenlüge: normative Gewalt in queeren Beziehungen und Räumen im Kontext von Aromantik und Asexualität” zitiert einen Liedtitel der ehemaligen Berliner Band “Die Lassie Singers” und ist mein bescheidener inhaltlicher Beitrag zu dieser Reihe.

Eine gemeinsame Einführung zum Thema an sich und zur Stellung von Aro/Ace Menschen innerhalb der Community gab einen Einblick in die normativen Wertvorstellungen von romantischen Beziehungen und sexueller Aktivität auch innerhalb queerer Kontexte. Katharina Kroschel beschreibt die normative Gewalt von Sexualität über das Konzept der “zwanghaften Sexualtät”, nämlich dem Ideal, dass Menschen sexuell aktiv sind um als “normal” zu gelten. Gleichzeitig funktioniert Sexualität als biopolitisches Machtinstrument, das über eine doppelmoralische Wertung von sexueller Aktivität je nach Status der jeweiligen Gruppe vornimmt. Es wird somit differenziert, welche Gruppen sexuell aktiv sein sollen (schöne, körperlich gesunde, weiße Menschen) und welche es nicht dürfen (BIPoC, behinderte Menschen, arme Menschen. Die eugenische Grundlage ist hier immer noch erkennbar und definiert dadurch, welche Menschen sich fortpflanzen sollen und welche nicht. Annika Baumgart gab anschließend einen Überblick über Aromantik und insbesondere darüber, wie die teils homonormative Konstruktion der romantischen (monogamen) Paarbeziehung als Ausgrenzungsmechanismus für aromantische Menschen fungiert. Romantik und romantische Paarbeziehungen als Norm können, so Baumbgart, Elemente in patriarchalen Kontrollmechanismen sein, die aromantische Personen pathologisieren, und schlimmer noch, toxische Beziehungen als “immer noch besser als Single sein” konstruieren, was wiederum auch  häusliche Gewalt und Femizide begünstigen. Alleine dass “Single” als Bezeichnung für Menschen ohne romantische Beziehung existiert, und damit Menschen über einen vermeintlichen Mangel definiert, zeigt die Allgegenwärtigkeit und normative Qualität der romantischen Paarbeziehung als Ideal auf. Der Vortrag dauerte durch seine zwei Themen etwas länger als die anderen und wurde von einer sehr regen Fragerunde begleitet. 

Die Vortragenden: instagram.com/ace_arovolution/

 

Am 28.11.24 fand im Zentrum Plus Stadtmitte der letzte Vortrag dieses Jahres statt. Unter dem Titel "Intersektionalität: Was bedeutet die Verschränkung von verschiedenen Lebenswelten mit queeren Identitäten?" wurde explizit auf die Verschränkung verschiedener (marginalisierter) Lebenswelten mit verschiedenen queeren Identitäten eingegangen. Der Vortragende, Kuem Plaßmann ist somatischer Coach, Projektmanager der Diversity Factory und wurde vom Queeren Zentrum schon mehrfach als Workshopleiter für Körpererfahrungsworkshops gebucht. In diesem Vortrag wurde besprochen, welche besonderen Herausforderungen insbesondere für mehrfach marginalisierte Personen auch innerhalb der queeren Community bestehen und mit welchen Strategien man diese als Betroffene*r und auch als nicht-Betroffene*r abbauen kann. Themen wir Rassismus in der queeren Community, aber auch Ableismus und grundsätzlich normative Vorstellungen über "richtig" und "falsch" wurden in der Gruppe besprochen. Das Konzept der Intersektionalität ans Ende einer Vortragsreihe mit intersektionalen Themengebieten zu stellen, hat den Zweck, alle behandelten Themen, so verschiedenen sie auch scheinen mögen, noch einmal zusammenzuführen und aufzuzeigen, dass die Mechanismen und Strukturen die gleichen sind und wir alle gemeinsam daran arbeiten müssen, diese aufzulösen.

Zum Vortragenden: queerbodywork.net

 

 

Aufbauend auf diesem letzten Thema soll die Vortragsreihe im Jahr 2025 fortgesetzt werden und insbesondere Handlungskonzepte vorstellen. Hier werden also Themen wie die Nutzung von Neopronomen besprochen, aber auch Konzepte erarbeitet, wie man Räume barriereärmer gestaltet und welche Grundlagen für Awarenesskonzepte erforderlich sind.  Der zweite Teil der Reihe soll in der zweiten Jahreshälfte 2025 stattfinden.

 

Derzeit befinden wir uns in der Planungsphase und freuen uns über Vorschläge oder Eigenbewerbungen von potentiellen Vortragenden und jederzeit auch über helfende Hände bei den Veranstaltungsterminen selbst.